Farbenprächtig gestaltete kalligraphische Handschrift aus dem Umfeld des Hallischen Pietismus

[Kalligraphie]. Schreibe-Buch Johann Caspar Gottfried Wilhelm Naunachbar.

Göttnitz, 1797.

90 Bll. Deutsche Handschrift auf Papier. Halblederband der Zeit. Qu.-8vo (205 x 165 mm).

$3,351.00

Der Band besteht aus 85 kalligraphisch gestalteten Textseiten mit aquarellierten Titelzeilen und häufigen Begleitzeichnungen. Die vielfach datierten Texte entstanden von Februar 1797 bis April 1798, mit wenigen späteren Ergänzungen von anderer Hand am Schluss des Bandes. Die jeweils nur auf der Vorderseite beschriebenen und illustrierten Texte sind kleine, in sich abgeschlossene Kunstwerke. Die drei ersten Zeilen sind jeweils kalligraphiert, die Kopfzeile zusätzlich koloriert. Die Titelzeilen weisen üppiges und phantasievolles Zierwerk auf; neben Arabesken, geometrischer und vegetabiler Ornamentik sind auch Tiere häufig in die Zeilengestaltung einbezogen und finden sich als zeichnerisches Beiwerk. Dargestellt ist die übliche Fauna des ländlichen Umfelds: Hunde, Katzen, Hühner, Ziegen, Hasen, Pferde, Rehe, Hirsche, Füchse, Eichhörnchen, Fische, Eulen, Krähen, aber auch ein Pfau. Eine Vorliebe hatte der Autor für Schlangen mit Narrenkappen, die er gern für die hervorgehobenen Initialen verwendete. Gelegentlich werden auch menschliche bzw. menschenähnliche Wesen dargestellt, so ein Jäger, ein Postillon oder ein Engel. Bei den Texten handelt es sich meist um Bibelsprüche, bevorzugt aus dem Alten Testament, um Auszüge aus dem evangelisch-lutherischen Gesangbuch oder christlicher Erbauungsliteratur wie Hübners "Zweymahl zwey und funffzig Auserlesene Biblische Historien" (1714 u. ö.). Einer der Texte ("Sei reinlich und ordentlich") ist erstmals im Kapitel "Erzählungen für kleinere Leser" in Hempels Volksschulenfreund (1816) gedruckt nachweisbar, scheint aber offensichtlich bereits älter zu sein.

Der aus Göttnitz (Zörbig, Anhalt-Bitterfeld) stammende Autor der Handschrift ist biographisch nicht nachweisbar. Der Theologe August Hermann Niemeyer nennt in seinen "Beobachtungen auf einer Deportationsreise" 1807 im benachbarten Könnern (Salzlandkreis) einen Kaufmann des seltenen Namens Naunachbar, der wohl mit unserem Autor verwandt gewesen sein dürfte. Niemeyer, der Urenkel von August Hermann Francke und Direktor der von diesem begründeten Franckeschen Stiftungen als Zentrum des Hallischen Pietismus, verweist auch auf den geistig-kulturellen Kontext, in dem der Autor unserer Handschrift deutlich erkennbar beheimatet war.

Der Autor, ob er nun aus dem landwirtschaftlichen oder kaufmännischen Milieu stammte, hatte offensichtliche orthographische Schwächen, und sein zeichnerisches Talent war begrenzt. Die Tierdarstellungen sind sehr volkstümlich-naiv und oft schwer zu identifizieren: Füchse sind teils kaum von Eichhörnchen zu unterscheiden, und die buckligen Ziegen erinnern eher an Dromedare. Trotzdem kann dem Autor eine künstlerische Begabung nicht abgesprochen werden: Die sehr geschmackvoll kolorierten Blätter zeugen von einem durchaus bemerkenswerten Farbempfinden, und die variantenreiche Gestaltung und Ornamenti sprechen von einer überbordenden Phantasie Naunachbars.

Condition

Der Einband berieben und bestoßen, Fehlstellen am Rücken, die Bindung gelockert: Die Seiten fingerfleckig, etwas angeschmutzt, vereinzelt etwas Tintenfraß und teils mit kleinen Randläsuren.