Kafka in Wien: Millionenpoker um Nachlass

  • ORF online
  • 17 March 2003
  • Gerald Heidegger

1,2 Mio. Euro erwartet

Die Korrespondenz ist nicht umfangreich und großteils bekannt. Einer der beiden Briefpartner ist aber Franz Kafka, der bekannteste deutschsprachige Autor der Welt. Ein Wiener Antiquariat bietet jetzt den Nachlass des Adressaten zum Kauf an - und erwartet mindestens 1,2 Millionen Euro. FinanzkrĂ€ftige Interessenten können so 38 Briefe des Prager Schriftstellers an seinen "letzten Freund" Robert Klopstock erwerben - 14 von ihnen wurden bisher nur zum Teil veröffentlicht, sieben weitere noch nie.

"Der verrĂŒckte Doktor Klopstock"
Millionenpoker um Nachlass in Wien
Angebot aus Übersee erwartet
Schwindel erregende Preise
Wer war Franz Kafka?

Ein Mediziner als Bezugsperson
Franz Kafkas spÀter Freund gehörte zur "kleinen Familie" des todkranken Autors.

Manchen Biografen gilt Robert Klopstock (1899-1972) als Franz Kafkas "Vater, Richter und Gott". So schÀtzte Klopstocks Rolle in den letzten Lebensjahren des Prager Schriftstellers etwa Ernst Pawel in seinem Buch "Das Leben Franz Kafkas" (1986) ein.

"Wichtigster Vertrauter"
Kafkas langjĂ€hriger Vertrauensmann und spĂ€terer Nachlassverwalter Max Brod (1884-1968) nannte dessen um 16 Jahre jĂŒngeren Freund einmal den "verrĂŒckten Dr. Klopstock". FĂŒr den Kafka-Experten Hanns Zischler war Klopstock neben Dora Diamant und Brod "der wichtigste Vertraute Franz Kafkas in dessen letzten Lebensjahren".

Erste Begegnung im Sanatorium
Klopstock lernte Kafka Anfang 1921 in der slowakischen Lungenheilanstalt von Tatrianske Matliary kennen. Der Medizinstudent aus Ungarn war wie Kafka an Tuberkulose erkrankt. Im Unterschied zu seinem neuen Freund aus Prag wurde Klopstock aber wieder gesund.

"Sehr literarisch"
Kafka berichtete Brod bereits am 1. Februar 1921 ĂŒber Klopstock: "Gestern abend wurde ich gestört, aber freundlich, es ist ein 2ljĂ€hriger Medizinstudent da, Budapester Jude, sehr strebend, klug, auch sehr literarisch, Ă€ußerlich ĂŒbrigens trotz gröberen Gesamtbildes Werfel Ă€hnlich, menschenbedĂŒrftig in der Art eines geborenen Arztes, antizionistisch, Jesus und Dostojewski sind seine FĂŒhrer - der kam noch nach 9 Uhr aus der Hauptvilla herĂŒber, um mir den (kaum nötigen) Wickel anzulegen, seine besondere Freundlichkeit zu mir kommt offenbar von der Wirkung Deines Namens her, den er sehr gut kennt."

Enge Freundschaft
Klopstock und Kafka blieben auch nach dem Kuraufenthalt im engen Kontakt. Kafka schrieb Klopstock aus Berlin, wohin er mit Dora Diamant zog. Die Briefe wurden immer vertrauter und schonungsloser, die Anrede "Mein lieber Klopstock" wurde zu "Lieber Robert". "Klopstock gibt, was ihm an Vertrauen entgegengebracht wird, vielfĂ€ltig zurĂŒck", schrieb Zischler in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (F.A.Z.). Auch Franz Blei, Oscar Bie, Alfred Polgar, Adolf Loos und Peter Altenberg rĂŒhmten demnach Klopstocks Großmut und bestĂ€tigten Kafkas EinschĂ€tzung des "geborenen Arztes".

"Kleine Familie"
So verwundert es nicht, dass Klopstock im FrĂŒhjahr 1924 nach Kierling bei Wien kam, um dort Kafka in einem Sanatorium gemeinsam mit Dora Diamant zu pflegen. Er blieb bis zu Kafkas Tod am 3. Juni desselben Jahres.

Lungenarzt mit Literaturambitionen
Der auch literarisch ambitionierte Mediziner lernte spÀter weitere deutschsprachige Schriftsteller kennen. So betreute er etwa Klaus Mann auf einer Entziehungskur in Budapest. Nach seiner Flucht vor den Nazis (1938) baute sich Klopstock in New York eine neue Existenz auf und erwarb auch viel Renommee als Tuberkulosespezialist.

Umfangreicher Nachlass
Sein Nachlass, der jetzt vom Wiener Antiquariat Inlibris geschlossen zum Verkauf angeboten wird, enthĂ€lt nicht nur Kafkas Briefe und medizinische Schriften. Neben einer umfangreichen Fotosammlung und der unvollendeten Übersetzung von Kafkas Roman "Der Process" macht vor allem die Korrespondenz mit Thomas und Klaus Mann, Franz Werfel, Albert Einstein und dem Kafka-Verleger Salman Schocken neugierig.

David Zelinger

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SpektakulÀre Versteigerung
Zeugnisse von Freundschaft, Liebe und Todeskampf.

Als Franz Kafka 1921 den ersten Brief an Robert Klopstock schrieb, war er 37 Jahre alt. Drei Jahre spĂ€ter war der Prager Autor tot. Sein "letzter Freund" Klopstock saß damals an Kafkas Sterbebett in Kierling bei Wien; nach mancher Darstellung starb Kafka am 3. Juni 1924 in "dessen Armen".

Freundschaft und Liebe
38 Briefe und Postkarten Kafkas an Klopstock zeugen von der Freundschaft eines schwer Kranken mit einem spĂ€ter Genesenen, der Lungenarzt wurde. Die Korrespondenz erhellt aber auch Kafkas Liebe zur viel jĂŒngeren Dora Diamant - der einzigen Frau, mit der er je zusammenlebte.

Qualvoller Todeskampf
Die nach Klopstocks Tod 1972 in New York lange verschollen geglaubten SchriftstĂŒcke werfen aber vor allem Licht auf den qualvollen Todeskampf Kafkas in dessen letzter Schaffensphase. Das macht sie zur kaum ĂŒberschĂ€tzbaren Quelle nicht nur fĂŒr Biografen.

Verkaufangebot aus Wien
Nach dem Tod von Klopstocks Witwe wurde sein Nachlass mit den Briefen Kafkas 1995 verkauft. Über Deutschland gelangte er an das Wiener Antiquariat Inlibris, das die SchriftstĂŒcke des vor den Nazis geflĂŒchteten "verrĂŒckten Dr. Klopstock" (Max Brod) geschlossen zum Kauf anbietet.

1,2 Mio. Euro erwartet
Als Preis nennt Inlibris-Chef Hugo Wetscherek 1,2 Millionen Euro - eine Summe, die den Nachlass fĂŒr EuropĂ€er möglicherweise unerschwinglich macht - mehr dazu in "Warten auf Angebot aus Übersee".

Katalog mit Faksimiles
Nicht nur als Entscheidungshilfe fĂŒr Kaufinteressenten erscheint am 21. MĂ€rz im Inlibris-Verlag der Katalog "Kafkas letzter Freund. Der Nachlass Robert Klopstock (1899-1972). Mit kommentierter Erstveröffentlichung von 38 teils ungedruckten Briefen Franz Kafkas".

Sieben unveröffentlichte Briefe
Demnach befinden sich in der Korrespondenz mit Klopstock "sieben gÀnzlich unveröffentlichte und 14 bisher nur unter teils relevanten, bis zu ganzseitigen Auslassungen veröffentlichte Schreiben Kafkas".

Auch andere LiteraturgrĂ¶ĂŸen
Der Klopstock-Nachlass birgt aber auch andere Überraschungen: neben eigenen Manuskripten und Lebensdokumenten des literarisch sehr interessierten Mediziners auch die Korrespondenz mit Thomas Mann, Franz Werfel, Albert Einstein und Kafkas spĂ€terem Verleger Salman Schocken.

David Zelinger

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Verkauf bis Jahresende?
Wiener Antiquar rechnet mit "keinem Interesse" aus Europa.

Die Briefe Franz Kafkas aus dem Nachlass Robert Klopstocks werden laut Inlibris-GeschĂ€ftsfĂŒhrer Hugo Wetscherek ab 21. MĂ€rz "anbotsfĂ€hig". Kaufen könne sie "jeder", so der Antiquar gegenĂŒber ORF.at. Wetscherek rechne aber nicht damit, dass gleich an diesem Tag "bei uns jemand reinspaziert". Vielmehr baue man auf "institutionelles Interesse", insbesondere aus den USA.

Jahresende als Verkaufszieldatum
Deswegen werde er die Briefe am 8. April bei einer Messe in New York prĂ€sentieren. Verkauft dĂŒrfte das Klopstock-Konvolut laut Wetscherek allerdings erst gegen Jahresende werden.

US-Unis als Interessenten?
Kaufinteressenten könnten laut Wetscherek unter US-UniversitÀten zu finden sein. Mit "keinem Interesse" rechnet der Inlibris-Chef in Europa.

Keine Signale aus Marbach
Im deutschsprachigen Raum komme nur das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar in Frage. Dort gebe man sich aber derart bedeckt, dass Wetscherek ein Angebot fĂŒr "unwahrscheinlich" hĂ€lt.

"Nicht zu rechtfertigen"
Der genannte Ankaufspreis sei unter dessen Etatbedingungen "nicht zu rechtfertigen", zitierte die "SĂŒddeutsche Zeitung" am 4. MĂ€rz den Handschriftensammlung-Leiter Jochen Meyer.

50.000 Euro pro Brief
Der Wiener Antiquar zeigt dafĂŒr VerstĂ€ndnis. Derzeit befĂ€nden sich noch rund 300 Kafka-Briefe weltweit im Privatbesitz, der Preis fĂŒr Einzelbriefe sei in den letzten Jahren auf bis zu 50.000 Euro hinaufgeschnellt. Das Marbacher Archiv wolle diese Preisentwicklung schlicht nicht stĂŒtzen, obwohl es seiner Ansicht nach die fĂŒr die 38 Kafka-Briefe geforderten 1,2 Millionen Euro aufbringen könnte.

"Kein Engagement" aus Österreich?
Überhaupt "kein Engagement" erwartet der Antiquar aus Österreich, schließlich befinde sich hier zu Lande ein einziger Brief Kafkas. Das aktuelle Konvolut wĂŒrde zu den Sammelschwerpunkten "einfach nicht passen". DarĂŒber hinaus gebe es dafĂŒr in Österreich "kein Geld".

Auch Briten als KĂ€ufer unwahrscheinlich
Auch britische UniversitĂ€ten schließt Wetscherek als wahrscheinliche KĂ€ufer aus. "Oxford kauft grundsĂ€tzlich nicht." Kafkas Manuskripte in der Bodleian Library seien schließlich Schenkungen.

David Zelinger

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Debatte ĂŒber Ankauf
Deutsches Feuilleton lÀsst Konvolut mit Kafkas Briefen nicht kalt.

WĂ€hrend die Versteigerung der 38 SchriftstĂŒcke Franz Kafkas in Österreich bisher kaum Interesse weckt, löste sie im deutschen Feuilleton eine rege Diskussion ĂŒber die Preis- und Ankaufspolitik aus.

Kritik an Nein aus Deutschland
"Ob nun allerdings die vom Deutschen Literaturarchiv verfolgte Strategie, beim Klopstock-Nachlass ZurĂŒckhaltung zu ĂŒben, auf die Dauer richtig ist, muss man bezweifeln", meint etwa die Frankfurter Rundschau. Schließlich sei zu erwarten, dass es kĂŒnftig noch öfter zu Angeboten von Kafka-Autographen kommen werde. In Tel Aviv befĂ€nden sich noch etwa 400 Briefe Kafkas an Max Brod, erinnert die Zeitung. Auch mĂŒsse damit gerechnet werden, dass die 1986 fĂŒr 500.000 Dollar (454.000 Euro) versteigerten, seitdem verschollenen und nur als Photokopien zugĂ€nglichen 511 Briefe an Felice Bauer wieder auf den Markt kommen.

"Kunstmarkt gegen Philologie"
Auch die "SĂŒddeutsche Zeitung" kommentiert die Versteigerung eher skeptisch: "Der Nachlass ist so teuer, dass am Ende womöglich nicht nur private Liebhaber, sondern auch die großen Archive und Forschungsinstitutionen abwinken werden." Die Zeitung zeigt zwar VerstĂ€ndnis fĂŒr die Marbacher ZurĂŒckhaltung, um weitere PreissprĂŒnge nicht zu fördern: "Das Ă€ndert aber nichts daran, dass von der Sache her der Klopstock-Nachlass in Marbach sehr gut zu Hause wĂ€re."

Öffentliche und private Geldgeber?
In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (F.A.Z.) findet sich wiederum der pathetische Satz: "Vielleicht finden sich ja, wenn schon nicht Verordnungen, die den Verbleib deutschsprachigen Kulturguts in einem deutschsprachigen Land sichern, genĂŒgend öffentliche und private Geldgeber, um dem Literaturarchiv in Marbach den Erwerb zu ermöglichen."

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Der sonderbare Herr Kafka
Franz Kafka. Eine Biografie zum Leben eines "sozialen Monstrums".

Franz Kafka ist ein spröder Autor. Der sprödeste, den die deutschsprachige Literatur wahrscheinlich hat. FĂŒr viele ist er ein Genie. Doch gerade die Biografie des Versicherungsangestellten Franz Kafka mag so gar nicht zum Konzept eines Genies passen.

Jahre der "Entscheidungen"
An dieser Krux arbeitet sich nun eine neue, monströse Kafka-Biografie ab. Deren Autor, der Literaturwissenschaftler und Kafka-Experte Reiner Stach, verbrachte sieben Jahre des Forschens, um sechs Jahre des Lebens von Franz Kafka penibelst zu rekonstruieren. Mit seinem Werk "Kafka. Die Jahre der Entscheidungen" (S. Fischer) setzt er dort an, wo das Standardwerk von Klaus Wagenbach zur Jugend Kafkas endet.

Sechs prÀgende Jahre
Die Zeit zwischen 1910 und 1915 sind fĂŒr Stach Kafkas prĂ€gende Jahre, jene Jahre, in denen sich ein unauffĂ€lliger Prager Stadtneurotiker zu einem der grĂ¶ĂŸten Rohdiamanten der Weltliteratur entwickelte. Eine mutige These, denn blickt man auf den Umfang des in dieser Phase Geschriebenen, so handelt es sich um ein paar hundert Seiten - das wenigste davon vollendet. Wie bringt man also das von Kafka Geschriebene mit einem Leben in Verbindung, das auch der Biograf ganz zu Beginn buchhalterisch bilanziert?

Karge Lebensbilanz
"Das Leben des jĂŒdischen Prager Versicherungsbeamten und Schriftstellers Dr. Franz Kafka dauerte 40 Jahre und 11 Monate. Davon entfielen auf die Schul- und UniversitĂ€tsausbildung 16 Jahre und 6,5 Monate, auf die berufliche TĂ€tigkeit 14 Jahre und 8,5 Monate. Im Alter von 39 Jahren wurde Franz Kafka pensioniert. Er starb an Kehlkopftuberkulose in einem Sanatorium in Wien." Zwischen diesen Eckdaten liegen im Fall Kafkas eine gewundene, neurotische Auseinandersetzung mit der eigenen Kaufmannsfamilie (und hier vor allem mit dem Vater), drei Verlobungen (die nie in eine Ehe fĂŒhrten), 40 vollendete Prosatexte auf rund 350 Druckseiten, etwa 3.400 Tagebuchseiten und 1.500 Seiten erhalten gebliebene Briefe. Und dann war noch dieser Freund und Mentor Kafkas, der Schriftsteller Max Brod, der am Ende dem Willen Kafkas zuwiderhandelte und das Geschriebene nicht dem Feuer ĂŒberantwortete.

Das Leben als Roman
Was Stach in seiner Biografie gelingt, ist, aus diesem kargen Leben einen mehr als lebendigen Roman zu machen. Zu lebendig, argumentieren die Kritiker des Feuilletons. Aus Tagebuchaufzeichnungen und Briefen Kafkas montiert Stach eine dichte Lebensgeschichte, die der biografischen Illusion folgt, dass jedes Detail im Leben des erklÀrten Genies von Bedeutung zu sein habe.

Alles dreht sich um Felice
So treffen wir auf einen exaltierten Kafka, der gerade sein erstes Buch veröffentlich hat (Betrachtung, 1913) und ĂŒber Max Brod die Berliner JĂŒdin Felice Bauer kennen lernt. Sie wird die große Obsession Kafkas - und auch die seines Biografen. Mit Kaskaden an Briefen bestĂŒrmt Kafka die Frau aus Berlin, was Stach detailliert rekonstruiert und psychoanalysiert. Neben dem schriftstellerischen Werk Kafkas dieser Zeit werden die Briefe an Felice zu einer Art literarischem Paralleluniversum.

Leben wird zum Werk
Mit VergnĂŒgen spinnt Stach BeziehungsfĂ€den zwischen den Briefen und den entstehenden Prosatexten Kafkas. "Kafka wollte eine Energiestrom, der ihn an Lebendiges ankoppelte", interpretiert der Biograf die Beziehung zu Felice, die sich fĂŒr Kafka ja mehr in der Ferne als in körperlicher NĂ€he abspielt. Je nĂ€her Kafka dem Objekt seiner Begierde tritt, desto mehr Fehler merkt er an ihm: "In der ersten Zeit musste ich [...] vor Felices ZĂ€hnen die Augen senken, so erschreckte mich dieses glĂ€nzende Gold. [...] SpĂ€ter blickte ich absichtlich hin, [...] um mich zu quĂ€len." Kafka schmeichelt sich ein, distanziert sich, verlobt sich mit Felice Bauer, löst dann die Verlobung auf, tritt vor die Verwandten und Freunde der verschmĂ€hten Braut, um sich zu rechtfertigen.

"Ich versteinere"
Rund um dieses Beziehungsdrama beginnt der Erste Weltkrieg. Kafka fĂŒhrt weiter Tagebuch. "Meine UnfĂ€higkeit zu denken, zu beobachten, festzustellen, sich zu erinnern, zu reden, mitzuleben wird immer grĂ¶ĂŸer, ich versteinere", notiert er am 28. Juli 1914 in sein Tagebuch. Kafka fĂŒhre "die Existenz eines sozialen Monstrums" aus Freiheit und Notwendigkeit zugleich, erlĂ€utert Zach und spinnt seine FĂ€den zwischen Privatleben und Werk weiter. Das erschreckt den Germanisten, erfreut den Leser aber umso mehr.

Die Schwester im Leben und im Buch
So erfahren wir, dass die Spannungen mit Kafkas Lieblingsschwester Ottla in die Beschreibung der herrischen Schwester Gregor Samsas in "Die "Verwandlung" einfließen. Allzu oft verwendet Stach freilich literarische oder briefliche Dokumente so, als könne man sie als 1:1-Belege fĂŒr die Haltung Kafkas nehmen.

Bis ins tiefste Dunkel
"Ich schreibe anders als ich rede, ich rede anders als ich denke, ich denke anders als ich denken soll und so geht es weiter bis ins tiefste Dunkel", schreibt Kafka 1914 an seine Schwester. FĂŒr den Biografen sind solche SĂ€tze Gift. Nimmt er sie als Bekenntnis ernst und nicht bloß als Stilisierung, so ist sein Unternehmen von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Stach hat sich entschieden, diese HĂŒrden zu negieren und stattdessen eine stilistisch brillante Kafka-LebenserzĂ€hlung zu verfassen. Kafka-Experten werden das Buch mit Vorsicht lesen, sich aber fĂŒr die FĂŒlle der ans Licht gebrachten Details bedanken.

Das Buch: Reiner Stach: Kafka. Die Jahre der Entscheidungen. S. Fischer-Verlag, 675 Seiten, 30,80 Euro.

Soeben ist bei S. Fischer auch eine Sonderedition der 15-bĂ€ndigen kritischen Ausgabe der Schriften und TagebĂŒcher Kafkas erschienen. 7.328 Seiten, Broschur, 128,60 Euro.