Was darf Kafka kosten?

  • Der Standard
  • 14. Juni 2003
  • Wendelin Schmidt-Dengler

Zur Preisentwicklung auf dem Manuskriptmarkt

"Was kostet Kafka?" - Unter diesem ebenso koketten wie auch mehrdeutigen Titel diskutierten Betroffene am 11. Juni im Österreichischen Literaturarchiv in der Nationalbibliothek. Betroffen sind jene, die Kafkas Manuskripte verkaufen, also Antiquare, und jene, die sie zu kaufen pflegen, also Archivare: Aus dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach, dem Mekka der Literaturwissenschaftler im deutschen Sprachraum, war Jochen Meyer, Leiter der Erwerbungsabteilung, angereist, seine GesprĂ€chspartner waren der Verfasser dieses Artikels und die Wiener Antiquare Georg Fritsch, Hugo Wetscherek (Inlibris). Letzterer hatte die Debatte durch seine Angebote herbeigefĂŒhrt: Letztes Jahr hatte er ein BĂŒhnenmanuskript Bernhards - seine Bearbeitung eines TheaterstĂŒcks von Tom Wolfe - zum Preis von 420.000 Euro angeboten, heuer sorgte er wieder fĂŒr Aufsehen in den Medien: 38 SchriftstĂŒcke Kafkas, Briefe und Postkarten, an seinen Freund und Arzt Robert Klopstock (1899-1972) hatte er fĂŒr 1,2 Millionen Euro angeboten, was von der österreichischen Presse mit mehr oder weniger Gleichmut hingenommen wurde, wĂ€hrend in der Schweiz dieses Angebot sogar als "obszön" bezeichnet wurde.

Eine lebhafte Debatte in den Medien war die Folge, und auch die Literaturarchive, die aus verstĂ€ndlichen Motiven die Preisbildung mit Sorge beobachteten, fĂŒrchteten fĂŒr ihre Zukunft, denn die im Falle Kafkas genannte Summe kann kaum ein Literaturarchiv aus seinem regulĂ€ren Budget bestreiten. Dass der Fall Kafka zudem auch die Preise anderer Objekte anheben könnte, ist eine gewiss nicht grundlose BefĂŒrchtung. Nicht um Hugo Wetscherek zurechtzuweisen, sondern um ĂŒber die Motive fĂŒr diesen so hohen Preis Klarheit zu bekommen, wurde der junge Antiquar eingeladen, der - und darin stimmten alle Anwesenden ĂŒberein - auf die regulierende Kraft des Marktes verwies. Doch zeigt sich dieser vom Angebot Wetschereks kaum beeindruckt, und die potenziellen KĂ€ufer dĂŒrften sich bei Inlibris nicht nachgerade die Klinke in die Hand drĂŒcken. Überhaupt scheinen sich in diesen GrĂ¶ĂŸenordnungen bei literarischen Manuskripten die privaten Sammler zu verflĂŒchtigen, und es war leider schier unmöglich, einen solchen auch als Diskussionsteilnehmer zu gewinnen: Wo gibt es diesen Typ in Österreich?

Bleibt also die so genannte "öffentliche Hand", die da in die Pflicht genommen wird. Zu fragen wĂ€re freilich, wie "öffentlich" sich diese Hand nach der Privatisierung der Österreichischen Nationalbibliothek noch fĂŒhlen darf. So hatte das Deutsche Literaturarchiv in Marbach im Jahre 1987 das Manuskript von Kafkas Prozeß fĂŒr einen Betrag von umgerechnet 1,5 Millionen Euro erworben, ein spektakulĂ€rer Ankauf, der durch die Weltpresse ging. Mit gutem Grund hob Jochen Meyer in der Debatte hervor, dass es sich hier nicht bloß um den Erwerb einer TrophĂ€e handelte, sondern dass gerade diesem Manuskript ein wissenschaftlich hoher Aussagewert zukommt. Zu denken gibt aber auch die Tatsache, dass die vergleichsweise wenigen Dokumente aus dem Klopstock-Nachlass einen Preis erzielen sollten, der nicht viel unter dem fĂŒr den Prozeß liegt, ein ausreichender Grund auch fĂŒr Meyer, Wetschereks Preisvorstellungen als unangemessen zu bezeichnen. Bleibt die Frage, ob es sich bei diesen Angeboten von Inlibris um EinzelfĂ€lle handelt, denn sonst funktioniert, wie die Diskussion auch mit Georg Fritsch zeigte, das GesprĂ€ch der Literaturarchive mit den Antiquaren gut, denn beide sind aufeinander angewiesen.

Bleibt auch die Frage, ob sich in der Tat ein Markt fĂŒr so hohe Angebote auftut, oder ob die Literaturarchive zur PassivitĂ€t verurteilt wĂŒrden. Besonders in Österreich wĂŒrde die Lage prekĂ€r werden: Denn hier zu Lande gibt es im Vergleich zu den USA oder auch zu Deutschland kaum Sponsoren, denen der Ankauf literarischer Zeugnisse eine Herzenssache wĂ€re - ein Bruchteil dessen, was in den Fußball investiert wird, könnte hier eine radikale Besserung der Lage schaffen. Wer aber ĂŒberzeugt Stronach von der Bedeutung eines GĂŒnther Anders oder Konrad Bayer? Bedenkenswert ist auch die Tatsache, dass in der RegierungserklĂ€rung von 2000 die Schaffung eines Fonds angeregt wurde, der der Sicherung des kulturellen Erbes zu dienen habe - eine AbsichtserklĂ€rung, die 2002 fehlt. Absicht?

Geld und Literatur scheinen kaum kompatibel, aber Nachlassverwaltern und Antiquaren wird das kaum zum Problem, und so mĂŒssen sich auch die Archivare dem RealitĂ€tsprinzip beugen. Dass es ĂŒbrigens auch GroßzĂŒgigkeit von Seiten der Erben gibt, zeigte sich bei Ingeborg Bachmann, deren Nachlass der österreichischen Nationalbibliothek fĂŒr einen im Vergleich zur Bedeutung der Autorin kaum nennenswerten Betrag ĂŒberlassen wurde, oder bei Thomas Bernhard, dessen Nachlass der Forschung vom Bruder des Autors zur VerfĂŒgung gestellt wurde. Doch solche Beispiele bleiben die Ausnahme, und die Archivare sollten sich im akademischen EigendĂŒnkel fĂŒr den Marktplatz nicht zu gut sein und - im Doppelsinne - zu handeln wissen. Dass sich die Institutionen nun auch um die so genannten VorlĂ€sse zu Lebzeiten der AutorInnen bemĂŒhen, weist in diese Richtung, auch wenn dadurch eine FĂŒlle neuer Probleme entsteht, die weit ĂŒber die Problematik der Bewertung des jeweiligen Oeuvres hinausreicht.

Das Geschehen auf dem Markt, auf dem Literatur gehandelt wird, ist - im Vergleich zum Kunsthandel - wenig spektakulĂ€r. So sollte man letztlich Hugo Wetscherek dankbar sein, dass er das öffentliche Interesse fĂŒr diese Fragen zu wecken imstande war. Wichtiger aber wĂ€re es, das Interesse an der Literatur ĂŒberhaupt wach zu halten, denn wenn dieses erlahmt, dann wĂŒrden der Manuskriptehandel und auch die literarischen Institutionen zur Bedeutungslosigkeit herabsinken, und niemand wĂŒrde sich dafĂŒr interessieren, was Kafka kostet.

Wendelin Schmidt-Dengler ist Professor fĂŒr Neuere deutsche Literatur an der Uni Wien und Leiter des Österreichischen Literaturarchivs.