Manuskript von Bernhard wiederentdeckt

  • ORF ON Kultur
  • 13. November 2001

Von der Entdeckung eines bisher unbekannt gewesenen Manuskripts von Thomas Bernhard berichtet die Tageszeitung "Der Standard" in ihrer Montagausgabe. Demnach handelt es sich um eine Bearbeitung von Thomas Wolfes StĂŒck "Herrenhaus" aus dem Jahr 1957. 68 Seiten davon hat Bernhard eigenhĂ€ndig geschrieben, hieß es.

FĂŒr Peter Fabjan, Halbbruder des Dichters und Mitverwalter des Nachlasses, ist das keine Entdeckung: "Das war den unmittelbar Betroffenen, also mir und der Thomas-Bernhard-Privatstiftung, schon seit Jahren bekannt."

Bernhard hatte sich von einem Buchbinder weiße BlĂ€tter zwischen die gedruckte Rowohlt-Ausgabe des Dramas "Herrenhaus" binden lassen. Er fĂŒllte sie mit einem Vorwort, mit unzĂ€hligen Anweisungen, Korrekturen, Anmerkungen und 25 Skizzen: "Es gibt bessere StĂŒcke, aber wenige, die ich leidenschaftlicher gelesen und gewĂŒrdigt hĂ€tte", schreibt Bernhard.

"Wirkliche Dichtung"

Diese Arbeit ist aber nicht bloß ein Regiebuch, sondern eine eigenstĂ€ndige Bearbeitung: Bernhard verlegte die Zeit der Handlung des 1922 entstandenen SĂŒdstaatendramas in die Jahre 1952/1953, "die Zeit des Krieges in Korea". Das Vorspiel aus der Kolonialepoche verlagerte er ins Jahr 1920, den Schluss in die Gegenwart.

Er sei zwar "gegen die 'Verlegung' jedweden StĂŒckes", notiert Bernhard, "jedoch schien es mir nicht nur interessant, hier zu beweisen, daß man, wie man sagt 'wirkliche Dichtung' ohne weiteres um 200 Jahre verschieben kann. Das Negerproblem ist heute wiederum zu modern als daß ich es in den Fordergrund (sic!) setzen möchte. Das eigentliche 'Problem' des Spiels dauert meiner Ansicht nach ĂŒber etliche Jahrhunderte."

"Scheußliche Form"

Das Manuskript ist eine wirkliche RaritĂ€t, heißt es in dem Bericht. Hat doch Bernhard in der Regel mit der Maschine geschrieben - was in diesem Falle nicht möglich war. Und so bittet der Student im Vorwort, "die scheußliche Form" zu entschuldigen, "doch bin ich außerstande, zu denken und schön zu schreiben".

Von einem Salzburger BuchhĂ€ndler, der die Aufregungen, die dieser Fund mit sich bringen wird, scheut, erwarben die Antiquariate Wolfgang Friebes (Graz) und Inlibris (Wien) gemeinsam das Regiebuch. Sie bieten es nun zum Verkauf an: Laut einem Gutachten dĂŒrfte der Wert bei 5,8 Millionen Schilling (421.502 Euro) liegen.

Manuskript "schon seit Jahren bekannt"

Eine "Sensation" ist das im Autographenhandel aufgetauchte Manuskript von Thomas Bernhard aus dem Jahre 1957, in dem Bernhard auf 68 handgeschriebenen Seiten Thomas Wolfes "Herrenhaus" bearbeitet, fĂŒr Peter Fabjan, Halbbruder des Dichters und Mitverwalter des Nachlasses, nicht: "Das war den unmittelbar Betroffenen, also mir und der Thomas-Bernhard-Privatstiftung, schon seit Jahren bekannt", meinte er im GesprĂ€ch mit der APA.

Fabjan und die Bernhard-Privatstiftung haben "schon vor Jahren versucht", den rechtlichen Anspruch an dem Manuskript zu klĂ€ren. Jedoch seien die BemĂŒhungen, "diesen weiteren Weg in den Handel zu verhindern", vergeblich gewesen. Vor "ein paar Jahren" sei Fabjan und der Bernhard-Stiftung "zu unserer VerblĂŒffung mitgeteilt worden, dass das Manuskript ursprĂŒnglich im Archiv des Salzburger Mozarteums verwahrt und von dort entwendet" worden sei, so Fabjan.

Mozarteum verneint

Mozarteum-Bibliotheksdirektor Werner Rainer meinte dagegen auf Nachfrage der APA, dass das "Manuskript niemals im Mozarteum-Archiv" gewesen sei: "Daran ist kein Wort wahr". Wenn Fabjan das behaupte, dann "liegt das vielleicht in der Familie. Da wurde ja fest gedichtet", so Rainer. Er wĂŒrde sich freuen, "wenn wir so etwas gehabt hĂ€tten".

Rainer hielt es jedoch fĂŒr möglich, dass das Manuskript aus dem Nachlass von Bernhards Mozarteum-Lehrer Rudolf E. Leisner stammt. "Da könnte es vermutlich irgendein Manuskript gegeben haben. Aber da hat es sich ein anderer rausgeklaubt".

Teures Manuskript

Fabjan und die Stiftung hĂ€tten "unmittelbar nach dem Geschehen" versucht, das Manuskript zurĂŒckzubekommen, bevor es in den Handel gebracht wurde. Das sei jedoch "abgeblockt oder nicht in unserem Sinne verfolgt" worden, so Fabjan. "Man machte uns die traurige Mitteilung, dass, wenn das einmal im Autographenhandel ist, die Chancen, es jemals zu bekommen, gleich null" sind.

"Eigentlich wĂ€re es die Aufgabe des Thomas-Bernhard-Archivs, solche Sachen im Original zu erwerben - oder zumindest in Kopie. Diese Mittel fĂŒr das Original (der Wert wird im "Standard" auf 5,8 Millionen S beziffert, Anm.) haben wir jedoch nicht, und wenn das Manuskript in privater Hand ist, gibt es auch kaum eine Chance fĂŒr eine Kopie". Fabjan sah darin "vielleicht die private Hand oder sogar die Republik - insbesondere die Nationalbibliothek" gefordert, dem Archiv entsprechende Mittel zur Komplettierung des Bestandes zu geben. Das Archiv wird am Freitag mit einer Lesung von Bruno Ganz (19 Uhr im Kongresshaus) und am Samstag (11 Uhr) mit dem offiziellen Festakt eröffnet.

AuffĂŒhrung verboten

Einer etwaigen AuffĂŒhrung der Bernhard'schen Version des StĂŒcks könne und werde die Stiftung "nicht zustimmen". Fabjan bezog sich auf den Passus in Bernhards Testament, nach dem "alles bisher Unveröffentlichte nicht veröffentlicht werden darf".